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„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

Am 20. August 2021 wäre der Initiator der „Universal-Stiftung Helmut Ziegner“ 100 Jahre alt geworden. Eine gute Gelegenheit, um an das beachtliche Lebenswerk von Helmut Ziegner in diesem Beitrag zu erinnern.
Aus einer privaten Initiative des Regisseurs und Schauspielers Helmut Ziegner hat sich im Land Berlin seit 1957 eine einzigartige Einrichtung zur Resozialisierung und beruflichen Qualifikation von Straffälligen und Haftentlassenen entwickelt, die aus dem Berliner Vollzug und der sozialen Arbeit der Stadt nicht mehr wegzudenken ist.

Im Jahr 1948 nahm der siebenundzwanzigjährige Schauspieler und Rundfunksprecher Helmut Ziegner als Mitarbeiter des RIAS Berlin an einer Theateraufführung von Insassen des inzwischen abgerissenen Zellengefängnisses Lehrter Straße teil. Daraus entwickelten sich Kontakte und Helmut Ziegner erhielt erste Einblicke in die damals trostlos erscheinende Situation für die Gefangenen innerhalb des Strafvollzuges. Es gab nur sporadisch Arbeit für die Gefangenen, so dass sie häufig beschäftigungslos in ihren Zellen verbleiben mussten. Ein spezifisches Problem ergab sich für die Gefangenen, die durch Obdachlosigkeit in das Gefängnis kamen und nach ihrer Entlassung erneut in die Obdachlosigkeit zurückfielen. Diesen entlassenen Gefangenen wurde aufgrund der fehlenden polizeilichen Anmeldemöglichkeit die für ein normales Leben notwendige Zutrittsgenehmigung versagt, was wiederum zur Arbeitslosigkeit dieser Menschen führte. Helmut Ziegner wurde sehr schnell deutlich, dass es nicht genügte, an hohen Feiertagen schöne Reden im Gefängnis zu halten, sondern die Gefangenen konkrete, unmittelbare Lebenshilfen erwarteten und vor allen Dingen benötigten. Helmut Ziegner erkannte, dass Arbeit, Ausbildung und Wohnen die wesentlichen materiellen Eckpfeiler der erfolgreichen Resozialisierung Strafgefangener sind. Bereits Ende der vierziger Jahre begann er, mit privaten Mitteln und gesammelten Spenden die Situation Haftentlassener zu verbessern. Obwohl man ihm geraten hatte, seine Menschenfreundlichkeit sinnvoller einzusetzen, zog er 1948 mit einem Handkarren über den Kurfürstendamm, in einer in Trümmern liegenden Stadt, um Kleiderspenden für Gefangene zu sammeln. Er holte Gefangene bei ihrer Entlassung vom Gefängnis ab und versorgte sie mit Wohnraum und Arbeitsplätzen. 1950 mietete er eine Achtzimmerwohnung an und richtete dort eine erste Wohngemeinschaft für Haftentlassene mit fünfzehn Schlafplätzen ein. Die dort lebenden Haftentlassenen verfügten nun über die notwendige polizeiliche Anmeldung, jedoch scheiterten die Einstellungsbemühungen bei Firmen am fehlenden Führungszeugnis. Aufgrund dieser Tatsache begann Helmut Ziegner mit privaten finanziellen Mitteln die Gründung zahlreicher Gewerbebetriebe, u.a. 1950 mit der Einrichtung einer Anzeigenvermittlung mit sieben Arbeitsplätzen, eines Lesemappenvertriebs mit 10 Arbeitsplätzen und eines Schreibmaschinen–Instandsetzungsbüros für fünfzehn Beschäftigte. Diesen Einrichtungen lag der Gedanke der Hilfe zur Selbsthilfe zugrunde. Die ehemaligen Gefangenen mussten sich von dort aus um eigene Unterkünfte und Arbeitsplätze bemühen, wobei ihnen Helmut Ziegner nach Kräften half. Damit wurden die dringend benötigten Plätze wieder frei und boten anderen Haftentlassenen kurz nach ihrer Entlassung die Chance der Wiedereingliederung.
Aufgrund des akuten Mangels an Arbeitsmöglichkeiten innerhalb der Strafanstalten gründete Helmut Ziegner verschiedene Anlernbetriebe. Der 1954 gegründeten „Moniereisen- Biegerei und Stanzerei Helmut Ziegner“ wurde 1955 in der Untersuchungshaftanstalt für Jugendliche ein Anlernbetrieb mit sechzig Arbeitsplätzen angeschlossen. 1956 wurden von ihm in der Jugendstrafanstalt eine Werkstatt für Kartonagenbearbeitung und – herstellung mit siebzig Arbeitsplätzen sowie eine Schlosserwerkstatt mit sechzig Arbeitsplätzen in der JVA Tegel eingerichtet. Die Gründung dieser zahlreichen Einrichtungen für Strafgefangene und Haftentlassene führte dazu, dass die finanziellen Möglichkeiten Helmut Ziegners weit überschritten wurden. Am 30. April 1957 wurde mit finanzieller Unterstützung des Senats von Berlin und des Landesarbeitsamtes die „Universal-Stiftung Helmut Ziegner zur Förderung und Resozialisierung Strafgefangener“ gegründet. Die Gründung der Universal-Stiftung Helmut Ziegner hatte das Ziel, Veränderungen in der Arbeitswelt des Strafvollzuges einzuleiten, die verschiedenen Formen der primitiven Arbeiten wie Tütenkleben und Mattenbinden und die Vorstellung von der Arbeit als Teil der Strafe durch ein vielseitiges Berufsförderangebot während und nach der Haft abzulösen. Nach späteren Verhandlungen mit dem damaligen Präsidenten des Landesarbeitsamtes wurden ab dem 1. April 1968 erste Umschulungslehrgänge für Anstreicher, Maler und Tapezierer sowie für Eisenbieger und Eisenflechter eingerichtet. Aufgrund der äußerst mangelhaften Schulbildung zahlreicher inhaftierter Strafgefangener initiierte Helmut Ziegner in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule und der Landesbildstelle Berlin in der JVA Tegel zusätzlich ein umfangreiches Bildungsprogramm für die Strafgefangenen. Die vielfältigen Themen umfassten u.a. die Anleitung zum Zeitung lesen und die Unterweisung im behördlichen Schrift- und Rechtsverkehr. Zusätzlich vervollständigte eine Vortrags- und Diskussionsserie mit jeweils wechselnden Thematiken und Teilnehmern das Bildungsprogramm. Im Rahmen eines von Ziegner 1966 initiierten „Informations- und Diskussionsprogramms“ besuchten zahlreiche Prominente aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur die JVA Tegel und diskutierten mit den Gefangenen, unter ihnen der Schriftsteller Günter Grass, der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann, der Schauspieler Martin Held und der Intendant Borislav Barlog.

Dreiundsiebzig Jahre nachdem Helmut Ziegner mit beachtlicher Eigeninitiative und großer Beharrlichkeit damit begonnen hatte, sich für die Belange der Strafgefangenen und Haftentlassenen durch die Schaffung von ersten Beschäftigungsmaßnahmen innerhalb des Vollzuges sowie Angeboten des Wohnens nach der Haftentlassung zu engagieren, besteht bis zum heutigen Tag bei der Universal-Stiftung ein vielfältiges berufliches Qualifizierungs- sowie sozialpädagogisches Betreuungsangebot nach der Haftentlassung. Die breite Palette der Angebote umfasst im Bereich der beruflichen Qualifizierungen Umschulungsmaßnahmen und Berufsausbildungen, Schlüsselkompetenztraining sowie Grundbildungskurse für inhaftierte Jugendliche. Für den Fall, dass die Entlassung aus der Haft vor dem Abschluss der beruflichen Ausbildung oder Umschulung erfolgt, besteht die Möglichkeit die Ausbildung / Umschulung bei der Tochtergesellschaft „Helmut Ziegner Berufsbildung gGmbH“ zu beenden. Im Bereich des sozialpädagogisch betreuten Wohnens nach der Haftentlassung umfasst das Angebot die Betreuungsformen "Übergangshaus", "Betreutes Wohnen" und "Wohnungserhalt und – erlangung".
Für sein beachtliches Lebenswerk wurde Helmut Ziegner mehrfach ausgezeichnet. Er erhielt u.a. 1981 die Ernst–Reuter-Plakette in Silber und 1992 das große Bundesverdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.